Transcriptions by Brigitte Parakenings, Philosophy Archive, University of Konstanz [Please note: This transcription is only an excerpt form the original document. p .46 in Online Document (September 1935, Kongress Paris)] IX RC 025-75-13 Do 12 Ab 9,54; Paris-Est an 16,45. Zum ersten Mal in Paris. Talu-Hotel Ecke Boulevard St. Germain Rue du Four. Sehr kleine Zimmer, aber mit warmem Wasser. Abends mit Reichenbach. Er erzählt, daß man ihm in Istanbul nicht mal erlaubt hat, ganz fortzureisen. In New York (von Hook) waren ihm für das Jahr 4.000 € geboten. Er bereut jetzt, daß er früher nicht Oxford angenommen hat, sonst wäre er jetzt in Amerika. Er will aber suchen, durch Rockefeller oder irgendwie sonst hinüberzukommen. Wir besprechen noch die Änderung im Kongreßprogramm; Rougiers neue Entwürfe nur 2 anstatt 3 parallele Sektionen. Ich bin im ganzen einverstanden, meine aber, man müsse telegraphisch Neuraths Einverständnis einholen, weil er doch die Hauptarbeit mit dem Programm getan hat, und gekränkt sein würde, wenn man es ohne sein Wissen redaktionell ändert. ___________________________________________________________________________ Fr 13 Ich ziehe in größeres Zimmer mit schönem Schreibtisch um (25 anstatt 20 Franc). Vormittags Gespräch mit Tarski. Über L-Bestimmungen; über Relativität seiner Wahrheitsdefinition. Mittags und nachmittags mit Morris. Nachmittags mit ihm in die Cité Universitaire, wo er im Amerikanischen Haus wohnt. Er berichtet ausführlich über die Situation in Chicago. Spannung zwischen ihm und dem Präsidenten Hutchins, der für scholatische Philosophie ist und ihn als Chairman abgelehnt hat. Der Engländer kommt nicht hinein. Vielleicht wird <…> Chairman, vielleicht wird auch nur ein vorübergehender ernannt; Ausländer nicht ausgeschlossen. Das wird sich wohl in den nächsten Monaten zeigen. Der Dean der Division für Humanities, McKeon, ist zwar für kulturhistorische Philosophie, der Präsident hat ihn dort eingesetzt, aber mehr objektiv. Er hat dargelegt>, daß ich der hervorragendste Vertreter unserer Richtung sei, würde vielleicht einer Einladung nicht entgegentreten. Morris betont, dass jetzt nur sehr wenige Universitäten in der Lage sind, zeitweise Einladungen zu machen; daß für nächsten Herbst mehr Chance auf dauernde Berufung ist (wenn auch keine große) als auf zeitweise Einladung von irgendwo. Höchstens weil die Lage in Chicago ungeklärt, könnte vielleicht Einladung für 1 Jahr kommen. Sonst würde man wohl sowohl in Chicago wie in Harvard einige Monate als genügende Probezeit annehmen. Wenn ich Dauerstellung in Chicago annehme, könnte ich trotzdem jederzeit einem Ruf etwa von Harvard folgen. Wenn beide Universitäten mich haben möchten, so wäre das der günstigste Fall, der für einen Philosophen überhaupt eintreten kann. Ausführlich auch über meine Vorlesungen> in Chicago (siehe besonderen Zettel). Morris fährt jetzt 3. Klasse auf ziemlich großem Dampfer, um zu sparen; aber das würde er nicht mit einer Frau tun. Drinnen essen wir zusammen in der Studentenspeisebaracke. Bis 9h. ___________________________________________________________________________ Sa 14 Frühstück mit Reichenbach. Trotz wiederholter Bitte verweigert er die Abtretung englisch-amerikanischer Austauschzeitschriften; Begründung: Situation in Istanbul, ohne jede Verbindung, ohne Zeitschriften in der Bibliothek. Auch über Popper; aber ruhig und vernehmlich. – Freymann vom Verlag Hermann1 kommt. Über die französische Broschüre. Boll sei vollständig verkracht mit Rougier und Vuillemin; er Freymann sei der einzige, der immer noch gut mit ihm auskomme. – In Tarskis Wohnung. Er ist eben weg. – Im Hotel geschrieben. Mittags im Prokop mit Frank, Morris, Reichenbach. Dann im Hotel mit Frank und Vuillemin gesprochen; er ist einverstanden, daß seine Fußnoten gestrichen werden und dass eine Note am Schluß angefügt wird. – In Tarskis Wohnung; er ist nicht da; mit Frau Dr. Kokoszyńska gesprochen, über Semantik, Wahrheitsbegriff, Hempel usw. – Schließlich Tarski; er hat Schwierigkeiten mit der Polizei, Rougier muß vermitteln. - ½ 7 (anstatt 6) – zurück Sitzung mit Reichenbach, Rougier, Morris, Frank, Neurath. Neurath ist böse, daß Rougier und Reichenbach seine ganze Arbeit mit dem Programm wieder umgeworfen haben. Wir sprechen> noch einige Programmänderungen, beschließen die Vorsitzenden. 9 - ½11 zusammen bei Cité Universitaire gegessen. Neurath entwickelt seine Auffassung über Schlicks Lebenslauf- und Entwicklung: hat Tendenz auf Glück, Jugend, Lebenssinn usw.; moralisch eingestellt>; hat Aufgabe: Propagierung eines anderen, besonders eines jugendlichen, nämlich 1) Einstein, 2) ich 3) Wittgenstein. ___________________________________________________________________________ So 15 Frühstück mit Reichenbach und Neurath. Es kommt der Berliner Montessori-Lehrer B<..>. Jetzt in London. – Vormittags mit Tarski; interessantes Gespräch über Befreiung gewisser Syntaxbegriffe von der Bezogenheit auf die definierenden Ausdrücke, statt dessen Bezug auf alle Ausdrücke (siehe Aufzeichnungen). Mittags plötzlich Hempels da, alle zusammen zum Essen im Prokop. – Ausgeruht – ½ - ½ 5 Besprechung der 6. Zusammen ins Palais Royal, Institut des Volksverbunds für intellektuelle Zusammenarbeit. Offizieller Tee mit Begrüßungsansprache. Viele Bekannte begrüßt (Stebbing, Ayer, Russell, Jörgensens, Adjukiewicz, Scholz, Bachmann, Becker, Aster, Dürr und Frau, Oppenheim und Frau, Braithwaite und Frau) und neue Leute (Frau Oppenheim, Enriques, Bergmann aus Jerusalem mit Grüßen von Maja). Neurath redet Russell zu, einige Worte zu sprechen, wie er sich von Hegels Philosophie freigemacht hat. Er tut das auch. Begrüßungsworte von Rougier, Russell, Frank, Reichenbach, Adjukiewicz. Frau Braithwaite sagt, daß Wittgenstein vielleicht jetzt die Philosophie aufgibt und daß dann kein Grund mehr sein werde, mir die Aufzeichnungen nicht zu schicken. Ich verabrede mich mit Russell zum Abendessen; als dann Frau Oppenheim mich einlädt, sagt sie, er soll mitkommen, dazu dann nur Hempels. Nette, zwanglose Tischunterhaltung. Russell über Induktion, Wahrscheinlichkeit, Intelligenz der Amerikaner, Entwicklung zum Kollektivismus, was Wasser auf Oppenheims Mühle ist. Nachher wir fünf (ohne Frau Oppenheim) schönen Abendbummel durch die herrlich beleuchteten Tuilerien, Louvre, Obelisk, Weltkultur> Eiffelturm. Über die neue Brücke; wir begleiten Russell heim. Er spricht über Chinesen, sie seien intelligenter als Japaner. Über die Gefahren des Heroischen. Das sei romantisch und kulturgefährlich. Ich: Man muß es nur sublimieren. Er: Das geht im großen doch nicht. Er meint, der moralische Mut zu neuen Gedanken habe nichts zu tun mit dem physischen Mut eines Soldaten. – Ich sollte noch Diskussionsthemen für Vortrag morgen schreiben; auf Hempels Zureden lasse ich es für morgen früh. (½ 11 zu Hause) ___________________________________________________________________________ Mo 16 Vortragsdiskussionsthemen geschrieben; darum später zum Kongreß. Vormittags: Enriques, Reichenbach, ich („Von der Erkenntnistheorie zur wissenschaftlichen Logik“), Morris, Neurath. Diskussionen. Frau Lutman zu meinem Vortrag <…> die <…> . Mittags im Prokop mit Hempels, Feigl usw. – Ausgeruht. Nachmittags 3 – 7 (anstatt 6 ¼) Sitzung; ich Vorsitzender, Frank, du Noüy, Woodger (viel zu schwierig, spricht ganz ohne Einfühlung in das arme Publikum); dann Diskussion, ich zu Woodger. Dann Tarski, über den Begriff der logischen Folgerung; dazu ich und andere diskutiert. – Im Café zusammen mit Hempels, Feigl, Reichenbach, später Frank und Neurath. Gemütliche Unterhaltung. Bis 9h . – Hempel erzählt mir, daß es Neurath innerlich ganz übel gehe; Olga soll oft Selbstmorgedanken haben. Die Amerikaner planen, Geld zur Vorbereitung des nächsten Kongresses zu sammeln und ihm zu geben. (½ 10 zu Hause.) Etwas geschlafen. Ina schickt lustige Fotos von Tirol. ___________________________________________________________________________ Di 17 Vormittags spät in die Sitzung, nur Feigls Vortrag gehört (über Realismus) und dazu diskutiert. Mittags mit Russell, Morris und <…> im Prokop. Über die Zukunft Europas. Russell meint, eine große Krise stehe sicher bevor in den nächsten Jahren; England, Frankreich und Deutschland würden zerstört. Vielleicht dann die Amerikaner kommen und Europa beherrschen. – Nachmittags etwas geschrieben; dann über neue Brücke gebummelt, plötzlich starker Regen. Zum American Express. – Zum Schluß der Nachmittagssitzung. Dann mit allen ins Café d’Harcourt. Scholz schüttet seinen ganzen Zorn über> schlechte Programmänderung vor mir und Hempel aus; wir sagen, daß Reichenbach schuld ist. Dann mit zwei intelligenten jungen Amerikanern: Cohn und Somerville. Sie stellen gescheite Fragen über die Bestrebungen des Wiener Kreises und über die Bedeutung der logischen Analyse für den Fachwissenschaftler. ½ 11 nach Hause. Noch Baldrian gekauft und anschließend> geschluckt. ___________________________________________________________________________ Mi 18 Sitzung über Induktion. Reichenbach, Schlick (MS hatte vorgelegen), ich („Wahrheit und Bewährung“), Popper. Sehr lebhafte Diskussion bis 2h. Zu meinem Vortrag sprechen: Grelling, Jabkowitz, Ayer, Neurath, Tarski, Lutman, Reichenbach. – Scholz hat sich heute früh heftig mit Reichenbach verkracht. – Nachmittags später in die Sitzung. Reichenbach (über Wahrscheinlichkeit), Schlick (MS über Wahrscheinlichkeit wird vorgelesen), Hosiasson, Popper. Diskussion bis 7h . Abends mit Hempels und dem <…> im d’ Harcourt. Dann Besprechung mit Neurath usw.: Für nächstes Jahr (wo ich nicht dabei sein werde) wird kleine Konferenz in Kopenhagen in Aussicht genommen, über Physik und Psychologie. – Hempel erzählt mir von Dubislavs „privater Verhandlung“. ___________________________________________________________________________ Do 19 Tarski und Lutman Vorträge über Semantik; ich diskutiere dazu. Scholz etwas negativ, aber hervorragender Vortrag über Logik. – Nachmittags etwas geschrieben, über die neue Brücke gebummelt, starker Regen. Zum American Express gefahren. Schecks gekauft. Zum Schluß zur Sitzung. – Abends bei Natkin; herrlichst moderne interessante kleine Atelierwohnung. Dabei noch Reichenbach, Gödel, Barbara Schlick; Feigl liegt lieber erkältet zu Bett. Feines Essen (Austern usw.), Natkin zeigt seine Bücher über Fotografie. Um Mitternacht fährt er uns im Auto nach Hause. ___________________________________________________________________________ Fr 20 Vorträge Neurath (Soziologie), Hempel (Typusbegriff), Walter, Hollitscher; ich diskutiere kurz zu Hempel. Bis ½ 3 (!). Neurath sagt, wir sollen um 3 wieder zur Nachmittagssitzung kommen, ich schwänze aber. Mit Hempel und Eva im Taxi zur Cité Universitaire, Feigl besucht; liegt krank im Bett und schwitzt. Morgen will er aber nach Amerika fahren. (Heute fahren Gödel und Bernays; dieser ist plötzlich aufgetaucht; ich spreche etwas mit ihm über Logik; er ist aber sehr intuitionistisch und philosophisch; vielleicht hat <…> ihn gerade deswegen nach Princeton eingeladen. 5h zu Russell ins Hotel. Zuerst englische Dame bei ihm, ich verstehe fast nichts. Dann mit ihm über meine Auffassung der Logik: Die Arithmetik ist von den Dingen abhängig; denn vielleicht haben wir nicht genug Symbole. 6h kommt Reichenbach und erzählt Russell (in schnellem, fließenden Englisch) seine Theorie der Induktion. 7h kommt Tarski. Wir alle gehen zum Essen in ein kleines Restaurant. Über die Zukunft Europas. Russell berichet wieder seine pessimistische Auffassung. Auch England sei gefährdet; denn wenn London von der Luft aus angegriffen würde, würden alle Menschen aufs Land flüchten und die Nahrungsmittelversorgung würde nicht mehr funktionieren; großer Zusammenbruch. Er fürchtet nicht sehr für Rußland, weil er meint, Frankreich> würde ihm sicher helfen. Nachher ins Hotel in ein Zimmer. Dort sprechen Tarski und ich mit ihm über Logik. Ich berichte über die Ergebnisse von Gödel, die er noch nicht kennt, aber sehr interessant findet. Wir beide sprechen zu ihm über die Unmöglichkeit, bestimmte Dinge in bestimmter Sprache zu definieren, über die Notwendigkeit transfiniter Typen. Von Variablen, die verschiedene Typen durchlaufen usw. Er sagt, daß ihm alles sehr neu und schwer verständlich. Die neue Generation müsse jetzt weiter Logik machen. Um 11h gehen wir. ___________________________________________________________________________ Sa 21 Ich wecke Neurath ½ 10 (wo er schon die Sitzung anfangen sollte). Neurath über Enzyklopädie. Dann mein Vortrag über logische Probleme der Vereinheitlichung der Begriffe (Reduktion usw.) Großes Interesse. Neurath sagt, dass heute ich lieber in den großen Sitzungsvortrag soll. Diskussion über Enzyklopädie. – Mit Freymann Gespräch über meine neue eben erschienene Broschüre. Er zahlt mir das Honorar. – Ausgeruht. Zum Schluß der Schlußsitzung gegangen. Ich ermutige die Stebbing, mit nach Belgien zu kommen. Sie fürchtet, sie wird zu schlecht verstanden. – Geschlafen. – 8 – 12 Uhr zum Diner bei <…> du <…>, mit Enriques, Neurath, Reichenbach, Frank, Rougier, Jørgensens, Morris. Mit Jørgensens über die Gefahr des Krieges. Mit Jørgensens und Neurath über die historischen Linien, die zum Wiener Kreis führen. ___________________________________________________________________________ So 22 Neurath beklagt sich bitter, dass Grelling seine Schrift so schlecht rezensiert hat. – Scholz und Reichenbach haben sich inzwischen versöhnt. ½ 11 – 1 mit Bachmann über seine MSe Axiomatik. Eines wird in den Kongreßvorträgen veröffentlicht (unter seinem Namen), ein anderes allgemeineres schreibt er jetzt (unter unser beider Namen) für Erkenntnis. Mit ihm im Prokop gegessen. – Ausgeruht. – Natkin holt Neider und mich in seinem Auto ab. Er wollte Besprechung nach Versailles. Da ich Paris noch nicht gesehen habe, fahren wir lieber in Paris herum. Dabei klemmt sich Neider den Finger und muß verbunden werden. Unten am Eiffeltum. Champs Elysées, Triumphbogen, Bois du Boulogne (schöner sehr großer Park mit großen Eichen und viel Leuten auf den Wiesen), Sacre Coeur (große Kirche wie Mütze auf dem Berg), dabei kleine alte Häuser, nahe bei Natkins Wohnung; Notre Dame (sehr schön; wir konnten nicht mehr hinein). 5 – 7 Tee in der Union Internationale. Mit Meiner etwas gesprochen; er ist zufrieden, daß die Kongreßvorträge nicht in der Erkenntnis erscheinen; im nächsten sollen 48 Seiten Bericht erscheinen. – Dann zu Fuß mit Hempels durch Louvre, Tuilerien, neue Brücke. Mit Morris, Tarski, Bachmann gegessen. Abschied von Morris. – Etwas geschrieben. – ___________________________________________________________________________ Mo 23 Mit Neurath, Hempel über mein MS „Testability“. Neurath hat Bedenken gegen die Begriffe „verifizierbar“ und „vollständig nachprüfbar“. Ferner meint er, daß er die alte Wiener Auffassung nicht gemocht habe, Positivismusthese usw., und dass er hauptsächlich den Anstoß zur Umwandlung der Anschauungen des Wiener Kreises gegeben habe, nicht nur im Physikalismus. – Mittags mit Neurath, Lutman, Frank, Neider über Neuraths Bedenken gegen den Wissenschaftsbegriff, den Tarski definiert hat; er meint, die Metaphysiker werden das aussuchen. - Eiligst im Taxi zum Hotel und dann zur Bahn. 14,20 – 19,05 über Namur nach Lustin sur Meuse, in Belgien>, in den Ardennen. Hotel Bristol. Wir sitzen gemütlich zusammen und machen noch einen kleinen Spaziergang zusammen. Jørgensens sind im Auto hergekommen. Außerdem: Hempels, Grellings, Stebbing, Neider. Tarski und Lutman konnten leider nicht. ___________________________________________________________________________ <…> unleserlich > unsicher Kursiv im Original in Langschrift 1 Hermann & Cie, Paris. --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------